Auf der Flucht vor dem Krieg

Auf der Friedenskundgebung am 18.3.22 haben zwei Schülerinnen des 10. Jahrgangs von ihren schlimmen Erlebnissen auf der Flucht vor dem Krieg in ihrem Heimatland erzählt und damit für große Betroffenheit gesorgt. Hier sind ihre Berichte.

 

Hania

„Ich (…) bin 18 Jahre alt und komme aus dem Irak. Ich besuche die 10c der Realschule . Ich bin Jesidin. Ich weiß ihr fragt euch wer sind Jesiden und was ist das für eine Religion? Das ist die älteste Religion der Welt, aber das ist jetzt nicht unsere Thema , unser Theme ist der aktuelle Krieg . Ich weiß, viele von euch sagen dass Krieg sie nicht betrifft . Ich sehe das anders. (…)
Im Jahr 2014 habe ich Krieg erlebt. Ich wünsche niemandem von euch, den Krieg zu erleben, weil das echt schwer und hart ist. Am schwierigsten ist es, wenn man eine große Familie ist, mit Kindern und alten Menschen . Wir hatten damals keine Sicherheit, keine Häuser und keine sicheren Orte, wo wir uns vor dem IS (Islamischer Staat) verstecken konnten. Ich weiß nicht, es wie jetzt in der Ukraine ist, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass sie auch keine sicheren Orte haben. und ich bin mir auch ziemlich sicher, dass sie Angst haben und Hunger haben .
Damals sind wir in die Berge gegangen, weil wir gedacht haben, dass es dort am sichersten ist. Meine Familie und ich waren sieben Tage in den Bergen. Wir hatten nicht so viele Sachen mitgenommen, weil unser Auto klein war. Sieben Tage ohne Essen und ohne sauberes Wasser ist nicht schön, aber wir mussten das (schmutzige) Wasser trinken – entweder trinken oder sterben, eins von beiden. (…) Das Schwierigste war, dass damals meine Mutter schwanger war. Ohne Essen und ohne Wasser ist es nicht gut für das ungeborene Kind. Aber Gott sei Dank ist mein Bruder gesund und fit auf die Welt gekommen. Damals war ich 11 Jahre alt, ich wusste nicht, was Krieg ist und was das alles bedeutet. Natürlich hatte ich Angst, aber ich wusste nicht warum wir hier sind und was auf uns noch zu kommt. Das Einzige, was ich immer behalten werde und nie vergessen werde, sind die Nächte, als wir in den Bergen geschlafen haben. Wenn wir am nächsten Tag aufgestanden sind, waren wir umgeben von Ameisen. Nach sieben Tagen wollten wir unbedingt raus aus den Bergen, weil wir kein Essen mehr hatten und nicht mehr konntan. Zwei Tage waren wir unterwegs um einen sicheren Ort zu finden. Wir sind durch Syrien gefahren. Wir mussten über die Berge fahren, und da unser Auto nur für fünf Personen war, wir aber 13 Leute im Auto waren, mussten einige von uns aussteigen, damit das Auto über die Berge fahren konnte, und dann sind wir wieder eingestiegen. Am Ende sind wir in Kurdistan ankommen. In Kurdistan war es für uns auch nicht sicher. (…) Wir dachten, die kommen hinter uns her und nehmen uns mit. Der IS hatte unsere Frauen mitgenommen und sie vergewaltigt. Sie haben unsere Frauen für 10€ verkauft. Das alles haben wir erlebt – nur, weil wir nicht Muslime werden wollten. Ich hoffe und bete, dass es in der Ukraine anders ist. (…). Das waren meine Erfahrungen im Krieg. Glaubt mir, Krieg ist nicht so leicht wie man denkt oder sagt, er ist hart und schwer.
Wir müssen versuchen den Krieg weltweit zu stoppen. Wir möchten unser Leben leben, wir können nur einmal dieses Leben haben und nicht tausendmal. Und wenn dieses Leben aus Krieg und Angst besteht, dann hat man am Ende kein glückliches Leben (gehabt). Ich hoffe, dass der Krieg in der Ukraine aufhört. (…) Wir müssen den Krieg stoppen, wir möchten, dass alle Menschen in Frieden leben.“

 

Halla

„Ich war erst neun, als wir erfuhren, dass Freiheitskämpfer in unsere Stadt kommen werden, um gegen Assads Soldaten zu kämpfen. Zur Erklärung: Assad ist ein schrecklicher Diktator. So schnell wie möglich verließen wir die Stadt und gingen zu unseren Verwandten ins Dorf. Dabei nahmen wir nur Essen mit, alles andere ließen wir in unserer Wohnung zurück.

Bei unseren Verwandten war es sehr eng, da natürlich auch Onkel und Tanten mit ihren Kindern kamen. Pro Familie hatten wir nur einen Raum. Einen ganzen Monat lang lebten wir bei unseren Verwandten. Zu unserer Wohnung in der Stadt gingen wir kein einziges Mal.

Als wir hörten, dass Assads Leute abziehen, kehrten wir zu unseren eigenen Wohnungen zurück. Doch nach ca. zwei Monaten kam der ISIS („Islamischer Staat in Irak und Syrien“) in unsere Stadt und es fanden wieder Kämpfe statt. Leute wurden vom ISIS verhaftet und die ISIS-Kämpfer zogen sogar Kinder hinzu um es mit anzusehen. Sie bombardierten die Straßen, erschossen Unschuldige und zerstörten Häuser mit ihren Raketen. Wann immer wir die Raketen kommen hörten, gingen wir ins Badezimmer oder in den Keller. Im Badezimmer hörte man weniger von den Raketen und es lag an keiner Außenwand und war daher sicherer. In das Dorf gingen wir aber nicht zurück, da dort die Verschleppungsgefahr für Frauen noch höher war. Zudem waren die hygienischen Bedingungen nicht gut. Wir waren viele Menschen auf engem Platz, deshalb hatten z.B. jeweils drei Leute nur einen Eimer mit Wasser zum Duschen. Genug Essen gab es auch nicht.

Viele der Raketen schlugen in die Gebäude neben uns ein. Wer bei einem Raketenbeschuss gerade auf der Straße war, klopfte bei Nachbarn und suchte Schutz. Nach den Beschuss guckten wir wo Rauch aufstieg. Wir riefen dann voller Sorge Verwandte und Freunde an, wenn der Rauch aus ihrer Straße kam. Zur Schule ging keiner mehr, da auch diese mit Raketen beschossen wurden. Als meine Schwester und ich noch in der Schule waren, schlug einmal eine Rakete direkt in unserem Schulhof ein. Das hätte es sein können. Wir hatten fürchterliche Angst und weinten. Dennoch versuchte ich oft, meine Angst zu verstecken, damit ich den Krieg besser ertragen konnte.

Zwei Monate später versuchten wir aus Syrien zu fliehen. Erstmal sollte mein ältester Bruder nach Libanon fliehen. Leider wurde er von Assads Leuten gefangen genommen. Im Gefängnis erzählten sie ihm Sachen wie, dass wir (seine Familie) alle tot wären, nur um ihn leiden zu lassen. Nach drei Monaten Suche fanden wir das Gefängnis, in dem er war und konnten ihn endlich frei kaufen. Diese drei Monate waren noch schrecklicher für uns. Wir wussten nicht, ob wir ihn je wieder sehen und wenn, ob wir ihm helfen könnten. Nachdem wir ihn frei kauften, wollte der ISIS meinen anderen Bruder verhaften, da er sie provozierte. Er provozierte sie, weil er keine Hoffnung mehr hatte und lieber sterben wollte, als weiter im Krieg zu leben. Nach seiner Provokation rannte er dann aber doch nach Hause. Danach durfte er nie in die Nähe eines Fensters, da sie ihn natürlich suchten. Der ISIS hatte keine Probleme damit, auch Jüngere umzubringen und waren sehr hartnäckig beim Suchen. Deshalb musste er mit meiner Mutter in derselben Nacht die Stadt verlassen. Sie flohen in Richtung Türkei bis zur Grenze, wo sie eine Woche warten mussten, bevor sie in die Türkei durften. Wir schafften es erst nach einen Monat, und fünf fehlgeschlagenen Versuchen, zu ihnen zu kommen.

Der Krieg ist schrecklicher, angsteinflößender und schwieriger, als viele es denken. Obwohl ich erst neun Jahre alt war, habe ich mich nicht als Kind gefühlt. (…)